Swiss Sport Integrity
24.
April
2024

«Ethikarbeit ist ein kontinuierlicher Prozess»

Bei der unabhängigen Meldestelle Swiss Sport Integrity (SSI) sind im Jahr 2023 total 374 Meldungen über mutmassliche Ethikverstösse eingegangen. Wie ist diese Zahl einzuschätzen und was bedeutet sie für die Arbeit von Swiss Olympic? Der Dachverband verfolgt mit dem Projekt «Ethik Schweizer Sport» zusammen mit dem Bundesamt für Sport BASPO seit Ende 2021 das Ziel, die ethischen Grundsätze noch stärker im Sportsystem zu verankern. Fünf Fragen an Annalena Kuttenberger, Teamleiterin Sport und Gesellschaft von Swiss Olympic.

374 Meldungen über mutmassliche Ethikverstösse gingen 2023 bei Swiss Sport Integrity ein wie die Stiftung in ihrem Jahresbericht bekannt gab. Wie ist diese Zahl aus Sicht von Swiss Olympic einzuordnen? 

Die Zahl zeigt, dass die Meldestelle weiter an Bekanntheit gewinnt und sich im Sportsystem etabliert hat. Die Meldestelle wurde ja erst 2022 lanciert, geniesst aber bereits eine hohe Glaubwürdigkeit. Auch das Bewusstsein für Fehlverhalten steigt bei den Schweizer Sportlerinnen und Sportlern. Gleichzeitig existiert in der aktuellen Phase aber auch eine gewisse Unsicherheit darüber, was okay ist und was nicht. 

Wichtig ist zu sagen: Die Zahl ist nicht gleichzusetzen mit der effektiven Anzahl Ethik-Verstössen im Schweizer Sport. Aufgrund der 374 Meldungen wurden 2023 letztlich 68 Untersuchungen eröffnet und es gab je drei festgestellte Missstände und drei Urteile, in denen Ethik-Verstösse bestätigt wurden. Ein Grossteil der Meldungen entstehen demzufolge aus Irritationen im Graubereich, die den Tatbestand des Ethik-Verstosses letztlich nicht erfüllen. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, werden auch solche Vorfälle bei SSI gemeldet und sorgfältig abgeklärt. Uns zeigen die Meldungen auf, wie wichtig die Unterstützung und Begleitung der Menschen im Sport und der Aufbau von Ethik-Kompetenzen für das Zurechtfinden in diesem Graubereich ist. Ein wichtiges Hilfsmittel dazu ist der Ethik-Kompass, den Swiss Olympic im Februar 2024 lanciert hat.

Und was bedeuten diese Meldungen für die Arbeit von Swiss Olympic mit den Verbänden?

Die Zahlen zeigen, dass unsere Arbeit für einen würdevollen Schweizer Sport noch nicht beendet ist. Das ist aber ganz normal. Ethikarbeit ist ein kontinuierlicher Prozess der Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen Organisation. Wir stellen fest, dass die Verbände mehr Support für ihre Ethikarbeit brauchen. Jeder Mitgliedsverband von Swiss Olympic hat deswegen bei uns eine*n Verbandsupporter*in speziell für den Bereich Ethik. Diese unterstützen die Verbände dabei, ihren Handlungsbedarf zu analysieren, Massnahmen zu planen und umzusetzen. Gleichzeitig stehen vor allem Verbände und Vereine mit vielen Meldungen in der eigenen Sportart vor zusätzlichen Herausforderungen. Wenn aufgrund einer Meldung ein Untersuchungsverfahren eröffnet wird, kann das viele Ressourcen binden. Als Unterstützung testen wir deshalb ein Angebot zur Vorgehensberatung in Zusammenarbeit mit der Krisenintervention Schweiz. 

Hofft man, mit diesen Angeboten auch einen Rückgang der Anzahl Meldungen zu bewirken?

Swiss Olympic hat sich zum Ziel gesetzt, dass ethische Grundsätze im Sport noch stärker gelebt werden. Dazu gehört, dass bei Verstössen genau hingeschaut und eine Null-Toleranz-Kultur verfolgt wird. Deshalb ist es uns nicht in erster Linie wichtig, die Anzahl Meldungen zu senken. Vielmehr wollen wir Haltung und Verhalten der Menschen im Sport sowie Strukturen und Prozesse der Organisationen so verändern, dass die Würde des Menschen, die faire sportliche Leistung im Wettkampf, die Umwelt und Good Governance in Sportorganisationen im Zentrum stehen. Wenn wir diesen Prozess kontinuierlich weiterverfolgen, wird früher oder später auch die Anzahl Meldungen zurückgehen, weil es weniger Anlass für solche geben wird.

SSI hat auch gemeldet, dass drei Berichte zu Missständen an Swiss Olympic überwiesen wurden. Was geschieht in solchen Fällen?

Wenn SSI einen Missstand feststellt, muss Swiss Olympic mit dem betroffenen Verband Massnahmen zur Behebung dieser Missstände vereinbaren. Diese Massnahmen werden in einer sogenannten Umsetzungsvereinbarung festgehalten und müssen innert einer festgelegten Frist umgesetzt werden. 

In den drei genannten Fällen befinden sich die betroffenen Verbände bereits in der Umsetzungsphase. Es hat uns gefreut zu merken, dass meist ein grosser Wille zur Verbesserung besteht und die Verbände sich um eine gründliche Umsetzung bemühen. 

Ist das Projekt «Ethik im Schweizer Sport» insgesamt auf Kurs?

Aus meiner Sicht: Ja. Es werden immer mehr konkrete Ergebnisse sichtbar. Beispiele sind der bereits erwähnte Ethik-Kompass, die erste Vernehmlassungsrunde zum neuen Verbandsfördermodell oder der bevorstehende Abschluss der Verbandsanalyse. Trotzdem gibt es für das Projektteam und die Arbeitsgruppen bis zum Ende der Projektlaufzeit im Dezember 2024 noch viel zu tun. Mit dem Abschluss des Projekts müssen aber nicht alle laufenden Arbeiten beendet sein. Vieles geht dann in den ordentlichen Betrieb bei Swiss Olympic, dem Bundesamt für Sport BASPO oder anderen Sportorganisationen über.

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Annalena Kuttenberger, Teamleiterin Sport & Gesellschaft bei Swiss Olympic