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06.
April
2020

«Mein letztes Schwimmtraining für sehr lange Zeit»

Jolanda Annen muss angesichts der Corona-Pandemie im Training improvisieren. Als Triathletin ist sie es sich allerdings gewohnt, zusammen mit ihrem Trainer, auf Planänderungen zu reagieren. In der Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio sieht die Urnerin für sich eine zweite Chance.

Am 27. März erfahren wir Athletinnen und Athleten, dass nun auch der Trainingsbetrieb im Sportzentrum in Magglingen wegen der Corona-Pandemie eingestellt wird. Als ich höre, dass wir die Anlage bis am Abend verlassen müssen, renne ich gleich zum Hallenbad, obwohl ich eigentlich einen Ruhetag eingeplant habe.

Jolanda Annen beim einsamen Schwimmtraining (Foto: Patrick Rhyner)

Jolanda Annen beim einsamen Schwimmtraining (Foto: Patrick Rhyner)

Ich absolviere ein drei Kilometer langes Schwimmtraining, ich will einfach nochmal im Wasser sein, nochmal die gute Trainingsmöglichkeit nutzen. Denn ich weiss, es wird wegen den landesweit geschlossenen Bädern wohl für lange Zeit mein letztes richtiges Schwimmtraining bleiben.

“Es ist der Moment, in dem ich etwas die Motivation verliere.”

Dann packe ich meine Sachen und fahre nach Hause nach Schattdorf (UR). Es ist der Moment, in dem ich etwas die Motivation verliere. Normalerweise freue ich mich nach Trainingslagern und Wettkämpfen darauf, nach Hause zurückzukehren. Diesmal wäre ich aber gerne noch länger in Magglingen geblieben!

Aber ich kann die Schliessung natürlich verstehen. Das Training in Magglingen bis Ende März hatte uns halt einfach noch eine letzte gute Möglichkeit geboten.

 

“Ich bin bereit, mehrere Wochen in Magglingen zu bleiben, damit ich meine Chance auf die Olympiateilnahme im Sommer packen kann.”

Als ich vor vier Wochen nach Magglingen gefahren bin, war dies der letzte Tag, bevor die fünftägige Quarantäneregel vor Eintritt eingeführt wird. Mir ist da aber bereits klar, dass ich das Sportzentrum nicht verlassen kann, wenn ich mich nicht vor der Rückkehr tagelang in Selbstisolation begeben will. Daher kaufe ich mir noch ein paar Bücher, darunter die mehrteilige Clifton-Saga von Jeffrey Archer. Ich bin bereit, mehrere Wochen in Magglingen zu bleiben, damit ich meine Chance auf die Olympiateilnahme im Sommer packen kann.

 

Jolanda Annen an den Olympischen Spielen in Rio 2016 (KEYSTONE-SDA)

Jolanda Annen an den Olympischen Spielen in Rio 2016 (KEYSTONE-SDA)

Die Schliessung des Sportzentrums sorgt zum x-ten Mal in diesem noch kurzen Jahr dafür, dass ich umplanen muss. Wir Triathletinnen und Triathleten sind mit sehr viel Eigenverantwortung unterwegs, vieles müssen wir selber organisieren. Und jede Planänderung zieht eine Reihe weiterer Entscheidungen nach sich. Diese Entscheidungen zu treffen und stets neue Lösungen zu finden, kann anstrengend sein.

In solchen Situationen bin ich unglaublich froh, geht mein Trainer Marc-Yvan De Kaenel immer sehr zielgerichtet vor. Ich weiss nicht, wie viele Stunden er dieses Jahr bereits investiert hat, um die notwendigen Anpassungen zu organisieren.

“Drei Knochen im Mittelfuss sind gebrochen, die Verletzung verhindert bis heute ein normales Lauftraining. ”

Anfang Jahr bin ich im Trainingslager in Südafrika von einem Auto angefahren worden. Zunächst habe ich versucht, das Schwimm- und Radtraining normal weiter zu führen, liess mich dann wegen der Schmerzen aber doch ärztlich untersuchen. Drei Knochen im Mittelfuss sind gebrochen, die Verletzung verhindert bis heute ein normales Lauftraining. Die Saisonplanung wurde da ein erstes Mal auf den Kopf gestellt.

Vorgesehen war, dass ich an Wettkämpfen Anfang März in Abu Dhabi, Anfang April in Brasilien, Mitte April auf Bermuda und Anfang Mai in Valencia die Leistungskriterien erbringe, um im Sommer an den Olympischen Spielen Tokio dabei zu sein. Nach der Verletzung wäre es ein Wettlauf gegen die Zeit geworden, um meine Laufform rechtzeitig auf ein hohes Niveau zu bringen. Unterdessen sind die Qualifikationswettkämpfe wegen der Corona-Pandemie längst abgesagt worden.

Es ist völlig unklar, wann für uns Triathletinnen die Saison beginnt. Unklar war auch, wie die Qualifikationskriterien für Tokyo 2020 ohne Wettkämpfe angewendet worden wären. Als die Olympischen Spiele vor ein paar Tagen dann um ein Jahr verschoben wurden, bleibt mir nun diese Unsicherheit und der Wettlauf gegen die Zeit erspart.

“Ich trainiere alleine oder zu zweit. In grösseren Gruppen mag ich wegen der Ansteckungsgefahr nicht velofahren.”

Unterdessen habe ich die Zuversicht und den Elan wiedergefunden. Aktuell versuche ich ein Anti-Schwerkraft-Laufband aufzutreiben, auf dem ich meinen verletzten Fuss schonen kann. Fürs Schwimmen ist es schwieriger, eine Lösung zu finden. Aktuell behelfe ich mir mit Seilzügen, damit ich die Arme auch an Land ähnlich wie im Wasser trainieren kann. Fahrradfahren ist zum Glück kein Problem

 

Jolanda Annen beim Training mit ihrem Trainer Marc-Yvan De Kaenel im Sommer 2019 in Japan

Jolanda Annen beim Training mit ihrem Trainer Marc-Yvan De Kaenel im Sommer 2019 in Japan

Allerdings habe ich da selber eine Einschränkung vorgenommen. Ich trainiere alleine oder zu zweit. In grösseren Gruppen mag ich wegen der Ansteckungsgefahr nicht velofahren. Mit Magglingen bin ich immer noch verbunden – mein Physiotherapeut betreut mich via Telefon. Ich suche nach den bestmöglichen Lösungen, die mir helfen, in dieser Zeit so normal wie möglich weiterzumachen. Falls die Saison noch beginnt, egal wann, will ich bereit sein

“Die Olympischen Spiele in Tokio bleiben mein grosses Ziel. Die Verschiebung auf 2021 ist eine zweite Chance.”

Die Olympischen Spiele in Tokio bleiben mein grosses Ziel. Besser gesagt, sie sind es wieder, nachdem es in diesem Jahr wegen der Verletzung und angesichts der Umstände knapp geworden wäre. Die Verschiebung auf 2021 ist eine zweite Chance. Für mich, aber auch für die anderen Triathletinnen und Triathleten, da wir alle hoffentlich bald wieder richtig trainieren und an den Wettkämpfen unter fairen Bedingungen um die Teilnahme kämpfen können.

 

Persönliche Eindrücke vom Testevent für Tokyo 2020

Persönliche Eindrücke vom Testevent für Tokyo 2020

Jolanda Annen, 27, bestritt ihren ersten Triathlon im Alter von 17 Jahren. Seitdem hat die Athletin aus Schattdorf, Kanton Uri, die Begeisterung für den Triathlon nicht verloren. Seit Herbst 2015 setzt sie ganz auf die Karte Sport, dank ihrer Sponsoren und der Armee, bei der sie als Zeitmilitär angestellt ist. Jolanda Annen hat bisher drei Weltcupsiege errungen und eine EM-Silbermedaille gewonnen. An den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro belegte sie Rang 14.

Im Blog «Ungefiltert» erzählen Athletinnen und Athleten in ihren eigenen Worten aus ihrem Leben. Sie sprechen über Siege und Niederlagen, über schöne und über schwierige Momente, über das Hinfallen und über das Aufstehen. Die Athletinnen und Athleten bilden das vielfältige Gesicht des Schweizer Sports ab und zeigen, was den Sport so wertvoll macht.