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31.
Mai
2025
Foto: Hippo Foto - Dirk Caremans

An meine Sternschnuppe

Für den Schweizer Reitprofi Robin Godel wird ein Traum wahr, als er mit seinem Pferd Jet Set an den Olympischen Spielen 2021 in Tokio antreten kann. Doch dann reisst im Wettkampf ein Band im Vorderbein des Pferdes, und aus dem Traum wird ein Albtraum. In diesem persönlichen Bericht spricht Robin Godel über den Tod von Jet Set, die darauf folgenden Angriffe in den sozialen Netzwerken und die enge Beziehung zu seinen Wettkampfpartnern. Ein ehrlicher Blick auf die Realitäten des Pferdesports – zwischen Leidenschaft, Verantwortung und Respekt für das Tier.

«Olympische Spiele in Tokio, 1. August 2021. Ich sitze im Sattel meines treuen Pferds Jet Set. Bisher verlief im Land der aufgehenden Sonne alles reibungslos. Nach der Dressur sind wir bereit für den Geländeritt, die zweite der drei Wettbewerbe des Vielseitigkeitsreitens.

Los geht’s! Wir wechseln in den Galopp. Jet Set kommt zügig voran und überwindet die Hindernisse mühelos. Ich spüre es, und die Tierärzte vor Ort haben es bestätigt – er ist in Bestform: Ich gehe nie ein Risiko ein, wenn ich merke, dass eines meiner Tiere nicht topfit ist.

Als wir uns den letzten Sprüngen nähern, merke ich plötzlich, dass etwas nicht stimmt. Jet Set galoppiert nicht mehr wie zuvor, etwas scheint ihn zu behindern. Obwohl es keinen Sturz gab, halte ich sofort an.

“Ein Tier würde nicht verstehen, was passiert, und viel zu stark leiden.”

Dann geht alles sehr schnell: Die Mitarbeiter vor Ort organisieren einen Anhänger für uns, um Jet Set in die Klinik zu bringen. Einige Tests später dann der gefürchtete Befund: Bänderriss am Vorderbein. Mein Team, die Tierärzte und ich müssen nicht lange überlegen. Wir wissen, dass das Pferd in solchen Fällen leider nicht gerettet werden kann.

Ein Heilungsversuch würde bedeuten, dass Jet Set in einer Box mit einem Gurt fixiert werden müsste, um das Bein nicht zu belasten – und zwar für mehrere Monate, wenn nicht Jahre. Keine Ausritte, keine Bewegung mehr: Ein Mensch würde ruhig bleiben, das Bein schonen, und damit wäre die Sache erledigt. Ein Tier nicht – es würde nicht verstehen, was passiert, und viel zu stark leiden. 

Wir haben schlicht keine andere Wahl und müssen Jet Set einschläfern.

Ich bin in seinen letzten Augenblicken an seiner Seite. Zuerst erhält Jet Set eine Spritze, damit er ruhig und schmerzlos einschläft. Dann eine weitere Dosis, die tödlich ist.

Robin Godel und Jet Set während der Geländerittprüfung bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio. (Hippo Foto - Dirk Caremans)

Robin Godel und Jet Set während der Geländerittprüfung bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio. (Hippo Foto - Dirk Caremans)

Ich bin unendlich traurig. Für mich war Jet Set ein Freund – wie alle meine anderen Pferde auch. Ich kann meine Tränen nicht zurückhalten. Es war eine solche Freude, mit ihm zum ersten Mal an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Gemeinsam hatten wir uns mit Bravour qualifiziert. Doch innerhalb weniger Sekunden verwandelte sich unser olympischer Traum in einen Albtraum.

“Zu der Trauer kommt der Schock hinzu, das Ziel von verbaler Gewalt und Drohungen zu sein.”

Meine Mutter und mein Team sind für mich da und unterstützen mich, aber ich habe auch das Bedürfnis, allein zu sein. Ich kehre ins Olympische Dorf zurück und flüchte mich in mein Zimmer, um diesen Schlag zu verdauen. Nach der offiziellen Bekanntgabe des Todes von Jet Set beschliesse ich, einen Post in den sozialen Netzwerken zu veröffentlichen. Ich möchte ihm damit die letzte Ehre erweisen und alle, die mir folgen, informieren.

Doch auf die Reaktionen war ich nicht gefasst ...

«Du bist es, der eingeschläfert werden sollte»

Alles geht sehr schnell. Innerhalb kurzer Zeit hagelt es erst Dutzende, dann Hunderte von Reaktionen, Kommentaren und privaten Nachrichten. Manche Personen unterstützen mich und schreiben mir tröstende Worte. Andere greifen mich direkt und heftig an. «Wir werden dich finden», «Du bist es, der eingeschläfert werden sollte», «Du bist ein Stück Scheisse, das Pferd ist gestorben, weil es zum Wettkampf gezwungen wurde».

Zur Trauer kommt der Schock hinzu, das Ziel von verbaler Gewalt und Drohungen von Menschen zu sein, die vom Pferdesport offensichtlich nicht viel verstehen. Mein Post wird schliesslich ohne Vorwarnung von Instagram gelöscht – ich weiss nicht genau, warum. Erst Monate später taucht er wieder auf.

Eines der Fotos, die Robin Godel wenige Stunden nach dem Tod von Jet Set in den sozialen Netzwerken veröffentlichte.

Eines der Fotos, die Robin Godel wenige Stunden nach dem Tod von Jet Set in den sozialen Netzwerken veröffentlichte.

Für den Fortbestand unseres Sports

Zwei Wochen nach Tokio beschloss ich, eine neue Nachricht in den sozialen Netzwerken zu veröffentlichen, um die Dinge klarzustellen. Nein, wir haben Jet Set nicht wegen der Versicherung eingeschläfert, wie einige behauptet haben – er war gar nicht versichert. Nein, wir konnten ihn nicht retten, es gab keine Alternative. Nein, Jet Set ist nicht wegen des Wettbewerbs an sich gestorben. Der Bänderriss hätte ihm jederzeit passieren können, während eines einfachen Ausritts oder auf der Weide.

“Ich betrachte meine Pferde als Freunde und nicht als Mittel zum Zweck.”

Natürlich haben Menschen, die gegen den Pferdesport sind, ihre Meinung nicht geändert, nur weil sie meine Zeilen gelesen haben. Aber ich bin mir mittlerweile sehr bewusst, dass unser Sport genau beobachtet wird: Um seinen Fortbestand zu sichern und ihn im Programm der Olympischen Spiele zu halten, müssen wir Pferdesportbegeisterten handeln, kommunizieren und die Öffentlichkeit für das Thema Tierschutz sensibilisieren. Das ist es, was ich jeden Tag auf meiner Ebene zu tun versuche.

Den Pferden ein artgerechtes Leben ermöglichen

Wie bereits erwähnt, betrachte ich meine Pferde als Freunde und nicht als Mittel zum Zweck. Für mich ist es am wichtigsten, dass sie artgerecht leben können. Dazu gehören unter anderem viele Stunden im Freien. Schliesslich sind Pferde Wildtiere, die gerne Zeit draussen in der Natur verbringen – das ist wichtig für ihr Wohlbefinden und ihre Motivation. Ich achte auch sehr darauf, es mit dem Training nicht zu übertreiben. In der Regel reite ich sie etwa 45 Minuten pro Tag, fünf- bis sechsmal die Woche. So bleiben ihnen ein oder zwei freie Tage pro Woche. Nach einem Wettbewerb gönne ich ihnen mehr Ruhe.

Robin Godel auf Grandeur de Lully bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris. (Keystone-SDA)

Robin Godel auf Grandeur de Lully bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris. (Keystone-SDA)

Ich variiere das Programm je nach Pferd, denn jedes Tier hat seinen eigenen Charakter und seine Besonderheiten. Grandeur de Lully, mit dem ich an den Olympischen Spielen 2024 in Paris teilgenommen habe, neigt zum Beispiel dazu, sehr sparsam mit seinen Kräften umzugehen. Deshalb ist es wichtig, ihm die Art von Bewegung anzubieten, die ihn motiviert: Ausritte im Freien, Galoppieren. Global, den ich auf Los Angeles 2028 vorbereite, ist viel lebhafter und energischer. Er braucht es, sich auszupowern. Deshalb sorge ich dafür, dass er zunächst all diese Energie herauslässt, damit er sich anschliessend besser konzentrieren kann.

Ein Reiter muss seine Pferde in- und auswendig kennen. Der Lernprozess, bis man zu einem echten Team zusammengewachsen ist, dauert etwa ein Jahr. Dabei ist der Anfang nicht immer einfach. Es braucht viel Geduld und Beharrlichkeit, um ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Grandeur de Lully ist von Natur aus sehr ängstlich. Wenn man ihn in Aktion sieht, könnte man meinen, dass er jedes Hindernis überspringen kann, doch er scheut leicht. Am Anfang war ich oft von seinen schnellen Reaktionen überrascht, er wich zur Seite aus und ich stürzte immer wieder. Trotzdem wurde er letztendlich zu einem meiner besten Pferde – ich habe grosses Glück mit ihm.

Im Nationalen Reitinstitut Avenches (IENA) mit Ilario des Tours.

Im Nationalen Reitinstitut Avenches (IENA) mit Ilario des Tours.

Nie unter Zwang

Ich habe noch nie ein Pferd aufgegeben, weil es mir zu schwierig erschien. Es ist die Aufgabe des Reiters, sich an das Tier anzupassen, nicht umgekehrt. Pferde sind sehr sensible Tiere und reagieren unmittelbar auf ihre Umgebung: Wenn der Reiter gestresst oder verärgert ist, spüren sie das sofort. Ich bin zum Glück von Natur aus ein ruhiger Mensch, doch einen Teil dieser Gelassenheit habe ich mir auch im Laufe der Jahre antrainiert. Und wenn man mit vielen verschiedenen Pferden arbeitet, dann schafft man es, sich optimal und schnell auf jedes Tier einzustellen. Im Reitsport ist Erfahrung sehr wichtig: Der Olympiasieger im Springreiten von Rio 2016, Nick Skelton, war 59 Jahre alt.

“Es ist die Aufgabe des Reiters, sich an das Tier anzupassen, nicht umgekehrt.”

Manche Pferde sind weniger sensibel als andere. Doch die besten Wettkämpfer sind oft auch sehr speziell – denn es braucht eine gewisse Verrücktheit, um erfolgreich zu sein.

Nicht zuletzt wird manchmal vergessen, dass Pferde eine Körperkraft haben, die der des Menschen weit überlegen ist. Unter Zwang könnte ein Pferd niemals das schaffen, was es auf einem Wettkampf leistet. Wenn es nein sagt, dann heisst das auch nein: Es ist unmöglich, ein Pferd umzustimmen. Turnierpferde sind also motivierte Partner, die mit Spass bei der Sache sind. Das bemerke ich auch immer wieder bei meinen eigenen Pferden: Wenn wir zu einem Turnier kommen, sind sie energiegeladen und enthusiastisch. Sie vermitteln ihre Emotionen über die Körpersprache. Ein deprimiertes Pferd lässt den Kopf hängen. Ein nervöses Pferd bewegt sich unruhig hin und her und legt die Ohren zurück. Und wenn mein Pferd glücklich ist, dann nehme ich das vor allem in seinem Blick wahr.

“Unter Zwang könnte ein Pferd niemals das schaffen, was es auf einem Wettkampf leistet.”
Robin Godels Tätowierung zu Ehren seines Pferdes Jet Set.

Robin Godels Tätowierung zu Ehren seines Pferdes Jet Set.

Sternschnuppe für immer

Schon als Kind begleitete ich meine Mutter regelmässig in den Stall, denn sie besass mehrere Pferde. Am Anfang war ich vor allem daran interessiert, sie zu bürsten und mich um sie zu kümmern. Diese Liebe zu den Tieren hat mich nie wieder losgelassen. Und ich habe mich nicht zuletzt deshalb für das Vielseitigkeitsreiten entschieden, weil ich gemerkt habe, dass eine meiner Stärken in der Beziehung zu meinen Pferden liegt. Die Verbindung zwischen Reiter und Tier ist in dieser vielfältigen Disziplin von entscheidender Bedeutung.

Die Zeit hat mir geholfen, Abstand von meiner schmerzhaften Erfahrung im Jahr 2021 zu gewinnen. In diesem Sommer wird es vier Jahre her sein, dass Jet Set von uns gegangen ist. Doch ich denke nach wie vor sehr oft an ihn.

Einige Monate nach den Spielen in Tokio liess ich mir die olympischen Ringe mit einer Sternschnuppe, dem Symbol von Jet Set, auf den Arm tätowieren. Das war mir sehr wichtig, denn ich möchte mir die schönen Erinnerungen an ihn bewahren. Diese Erfahrung hat mich für mein Leben geprägt. Genau wie dieses Pferd.»

Aufgezeichnet von Fabio Gramegna, Medienteam Swiss Olympic

Keystone-SDA

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Vierter bei seinen zweiten Olympischen Spielen

Mit 26 Jahren ist der Freiburger Robin Godel bereits siebenfacher Schweizer Meister im Vielseitigkeitsreiten. Bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris hatten er, Mélody Johner und Felix Vogg zunächst den fünften Platz im Teamwettbewerb Vielseitigkeit belegt, bevor sie aufgrund der Disqualifikation Belgiens auf den vierten Platz vorrückten. «Für mein Team und unsere Disziplin macht es einen Unterschied, an den Olympischen Spielen Vierter statt Fünfter zu werden. Dank diesem Rang haben wir unter anderem eine grössere Erfolgsprämie und eine Swiss Olympic Card einer höheren Kategorie erhalten. Diese zusätzliche Unterstützung wird uns bei der Vorbereitung auf Los Angeles 2028 helfen, was sehr motivierend ist», sagt Robin Godel.

Eine sehr abwechslungsreiche – und streng geregelte – Disziplin

Das Vielseitigkeitsreiten ist eine Disziplin, die drei Wettbewerbe umfasst: Dressur, Geländereiten und Springen. Reitsportwettbewerbe finden stets unter den wachsamen Augen von Stewards statt, die unter anderem für das Wohlergehen und die Gesundheit der Pferde verantwortlich sind. In der Schweiz verfügt der Verband Swiss Equestrian über einen eigenen Ethik-Codex.