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Ein Kampf gegen Geschlechterungleichheiten

Wie in der Politik haben sich Frauen den Zugang zur Welt des Sports hart erkämpfen müssen. Abgesehen von einigen Ausnahmen war der Sport für eine sehr lange Zeit den Männern vorbehalten und dies begann sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts zu verändern. Wie äusserten sich diese Veränderungen? In welchem Kontext? Das wollen wir anhand der Geschichte von Rosmarie Manser Lettow und der ersten Judo-Weltmeisterschaft erfahren.

Rosmarie Manser Lettow war eine junge kämpferische Frau, die einen Sport ausüben wollte, der ihrer Persönlichkeit entsprach. Ein erster Wunsch im Montreux der 1960er Jahre war eine Mitgliedschaft in einem Fechtclub, doch gab es keinen in unmittelbarer Nähe, und so versucht sie es im Judo. 1969 wurde sie Mitglied des Schweizerischen Judo-Verbandes. Sie wusste es noch nicht, aber diese Mitgliedschaft sollte über 50 Jahre andauern...

Auf Initiative von Thérèse Nguyen, die Judofrau der ersten Stunde, welche bereits seit 1972 auf eigene Faust an internationalen Wettkämpfen mit guten Resultaten teilgenommen hatte, und einigen anderen Frauen, wurde 1974 die Schweizer Judo-Damen-Nationalmannschaft gegründet. Die damalige Begeisterung für den Frauensport hatte zur Schaffung einer Kommission für Frauen im Judo-Verband geführt, deren Vorsitz Thérèse Nguyen übernahm. Ein grosser Schritt, der im Einklang mit der neuen Welle an Damen-Wettkämpfe in Europa stand, wie z. B. den ersten Europameisterschaften der Frauen 1975. Der Wettkampfbereich im Judo begann sich endlich für Frauen zu öffnen.

Leider waren diese sportlichen Anfänge nicht so einfach. Thérèse Nguyen, die Schweizer Athletin mit der grössten Wettkampferfahrung und den meisten Auszeichnungen, legte aufgrund der schwierigen Doppelrolle als Athletin und Funktionärin ihr Amt nieder. Sie nahm weiterhin auf eigene Kosten an Turnieren im Ausland teil, wie sie das bereits in den vorangegangenen Jahren gemacht hatte. In jenem Jahr wurde ihr – auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und kurz nachdem sie am 1. Europaturnier die Goldmedaille erreichte – ein sechsmonatiges Wettkampfverbot aufgrund der „Teilnahme an internationalen Turnieren ohne Starterlaubnis und ohne vorherige Information des Schweizerischen Judo-Verbandes“ erteilt. Einige Männer ertrugen vielleicht die Vorstellung nicht, dass Frauen das gleiche Niveau erreichen könnten wie sie.

1976 übernahm Rosmarie Manser Lettow offiziell als Coach die Verantwortung für die Frauennationalmannschaft. Dotiert mit starken organisatorischen und administrativen Fähigkeiten sowie aufgrund der Tatsache, dass sie mit ihrem Federgewicht von 40 kg auch in der damals niedrigsten Gewichtsklasse von 50 kg keine grosse Medaillenanwärterin war und ihre Begeisterung für den Sport ihr Talent überwog, war dies die richtige Entscheidung. Gestärkt durch die Ausbildung als erste Frau als Kampfrichterin (von den älteren Garde belächelt) und die Absolvierung des Nationaltrainerlehrgangs NKES (von den Fachmännern bewundert) war sie auf dem richtigen Weg.

Gleichzeitig war dies auch der Beginn einer nie da gewesenen Resultateserie, die in den nächsten Jahren stets zu Medaillen an Europameisterschaften und anderen grossen Turnieren führte. 1978 ereignete sich ein besonders eindrücklicher und bis heute nicht mehr erreichter Höhepunkt: An der Europameisterschaft erkämpften zwei Athletinnen einen ganzen Medaillensatz! Vreni Rothacher gewann Silber in ihrer Gewichtsklasse, am nächsten Tag Gold in der offenen Gewichtsklasse und Thérèse Nguyen gewann Bronze. «Leider von unserem Verband kaum beachtet…, so wie auch die nachfolgenden Medaillen nicht», konstatiert Rosmarie Manser Lettow.

Die Spannungen zwischen den Geschlechtern nahmen weiter zu, als beschlossen wurde, dass das Männer-Team einen Teil ihres Budgets an das Frauen-Team abtreten musste. Rosmarie sah mit grossem Bedauern, wie sich ein Graben zwischen den beiden Teams auftat.

“Auch wenn wir unter Sportkolleginnen darüber lachten, fühlte ich mich häufig ziemlich alleine in dieser von Männern dominierten Welt.”

«Ein Beispiel: Anlässlich der Reise an ein internationales Turnier nach Österreich stellten wir fest, dass wir unabgesprochen im gleichen Zug wie das Männerteam reisten. Nur mit dem kleinen Unterschied: Wir Frauen assen unsere selbstmitgebrachten Sandwiches im Wagon der 2. Klasse, während das Männerteam in der 1. Klasse reiste und das Mittagessen im Restaurant einnahm. Auch wollte der Männer-Teamcoach nichts von gemeinsamen Trainings wissen; er meinte die einzigen die davon profitierten, wären die Frauen. Dieser Satz ist bis heute geblieben, weil er doch einiges aussagt!»

Zum Glück war Rosmarie Manser Lettow in diesem Kampf alles andere als allein. Anlässlich des jährlichen internationalen Frauen-Turniers in London wurde von den anwesenden Teamverantwortlichen beschlossen, ein internationales Komitee zu gründen, das über die American Women's Right Organisation für die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern im Judo aktiv werden sollte. Nach vielen Bemühungen und langen Diskussionen, an denen Rosmarie Manser Lettow beteiligt war, konnte dadurch 1980 die ersten Frauen-Weltmeisterschaften in New York durchgeführt werden mit einer Beteiligung von 150 Sportlerinnen aus 27 Nationen.

Die damalige Trainerin der Schweizer Nationalmannschaft erzählt, wie aufregend diese Reise war, sowohl aufgrund des Kennenlernens des neuen Kontinents (mit dem Flugzeug zu fliegen, war damals noch nicht so alltäglich wie heute), als auch des Erlebens dieser Weltmeisterschaften. Besonders beeindruckt hatte sie die Teilnahme von Frauen aus Ländern, die bis dato kaum als Förderer ihrer Frauen bekannt waren. Wie war es möglich, dass Frauen in diesen Ländern Judo trainieren konnten? Leider blieb diese Frage unbeantwortet. Die Weltmeisterschaften waren eine unvergessliche Erfahrung, die den jahrelangen Kampf für die Gleichstellung der Frauen vorerst krönten. Die Weltmeisterschaften boten eine internationale Bühne, die den Platz der Frauen im Judo nach und nach immer weiter legitimierte.

Es ist kein Zufall, dass Judo-Wettbewerbe für Frauen acht Jahre später bei den Olympischen Spielen in Seoul als Demonstrationssportart stattfanden (ohne Medaillen und ohne Medienberichterstattung) und dass 1992 in Barcelona die Frauen-Wettkämpfe offiziell zu den Olympischen Spielen zugelassen wurden. Als dies bekannt wurde, hat Rosmarie Manser Lettow ihr Amt nach 12 Jahren als Coach der Nationalmannschaft aufgegeben, da nun die Zeit gekommen sei, ein Frauen-Olympiateam mit neuen Kräften zu formieren. Heute schaut sie mit Stolz auf das zurück, was auch durch ihr Engagement erreicht wurde.

“Aktuell gibt es in der Schweiz keine strukturellen Ungleichheiten mehr. Frauen haben den gleichen Zugang zu Wettkämpfen und erfahren die gleiche Anerkennung.”

Rosmarie Manser Lettow engagiert sich immer noch für den Sport und hat kürzlich dem Schweizerischen Judo-Verband sogar drei Jahre lang bei der Umstrukturierung der Leistungssportabteilung und im Personalwesen geholfen – und das im Alter von über 70 Jahren. In Zukunft wird sie ihren Ruhestand in ihrem neuen Zuhause in vollen Zügen geniessen. Doch es ist davon auszugehen, dass sie die Sportwelt nicht ganz verlassen wird. Sie ist dem Panathlon Club beigetreten, der junge Sportlerinnen und Sportler sowie den Sport im Allgemeinen unterstützt.

Zusätzlich organisiert Rosmarie Manser Lettow alle 3 Jahre Treffen der ehemaligen Frauen-Nationalmannschaft, an denen normalerweise über 50 Ehemalige teilnehmen.

Selbstverständlich verfolgt sie nach wie vor sämtliche wichtigen Frauen-Wettkämpfe und freut sich über jeden gewonnen Wettkampf. «Welche Entwicklung – sowohl auf technischer wie auch auf taktischer Ebene!», bemerkt sie und ergänzt: «Ich bin überzeugt, dass sich die heutigen Athletinnen wohl und angenommen in ihrer sportlichen Ausrichtung fühlen.»

Wirkte im Hintergrund für Leistungssport und Personalwesen: Rosmarie Manser Lettow

Wirkte im Hintergrund für Leistungssport und Personalwesen: Rosmarie Manser Lettow